Es war einmal ein Guru, der mit seinen Schülern in einem indischen Aschram lebte. Im ganzen Land wurden seine Weisheit und Einsicht gerühmt. Täglich bei Sonnenuntergang versammelte er seine Anhänger und sprach zu ihnen. Eines Tages tauchte im Aschram eine schöne Katze auf, die dem Guru auf Schritt und Tritt folgte. Auch während der Ansprache des Gurus war sie dabei und spazierte gerne zwischen den Jüngern umher. Niemand hatte etwas gegen die Katze, allerdings hielt sie die Schüler davon ab, sich auf die Worte des Meisters zu konzentrieren.

Damit sie nicht jedes Mal die Unterweisung störte, beschloss der Meister also, die Katze immer fünf Minuten vor Beginn der Rede wegzusperren. So wurde es auch gehalten, das Problem war gelöst und es kehrte wieder Ruhe ein im Aschram.

Die Jahre vergingen, und irgendwann starb der Guru. Der älteste und begabteste seiner Schüler übernahm die Rolle des geistigen Oberhaupts. Fünf Minuten vor seiner ersten Ansprache befahl er, wie gewohnt die Katze einzusperren. Doch die war nicht zu finden. Geschlagene zwanzig Minuten brauchten seine Gefolgsleute, um die Katze überhaupt zu finden und sie in ihren Käfig zu befördern. Jeden Abend musste nun erst die Katze aufgespürt werden, bevor man sie der Tradition nach einschließen konnte. Die Jahre vergingen, und irgendwann starb auch die Katze. Da ordnete der neue Guru an, eine neue Katze zu erwerben, um sie immer fünf Minuten vor der Unterweisung einsperren zu können.

aus: Komm ich erzähl dir eine Geschichte … (Jorge Bucay)