Empathie – also die Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen – spielt eine wesentliche Rolle für Berater und Coaches. Schließlich können wir besonders hilfreich sein und effektiv beraten, wenn wir auch ein gewisses Maß an Empathie für unser Gegenüber empfinden.
Das richtige Maß ist dabei entscheidend.

Fühlen wir zu viel mit unseren Klienten mit, dann verlieren wir unsere neutrale Beobachterposition, die essentiell für eine lösungsorientierte Beratung ist. Wir leiden mit unseren Klienten mit, statt ihnen den Raum für das Finden neuer Perspektiven und Lösungen zu bieten.

Fühlen wir aber zu wenig mit und begegnen wir unseren Klienten mit Distanz und großem emotionalen und kognitiven Abstand, so kommt es leicht zu Zynismus und uns fehlt das tiefere Verständnis für die Probleme der Coachees, was wiederum für eine tragfähige Beziehung nicht förderlich ist.

Als Coaches wissen wir aber, dass eine vertrauensvolle Beziehung eine der wesentlichsten Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Beratung ist. Die Kunst ist es also, die richtige Balance zu finden.

Wie funktioniert aber nun Empathie im Gehirn?

In den 90-er Jahren erzielten zwei italienische Neuro-Wissenschaftler einen immensen und unerwarteten Durchbruch in ihrer Forschung. Sie entdeckten Gehirnzellen, die nicht nur dann aktiv werden, wenn wir eine Handlung ausführen, sondern auch, wenn wir dabei zusehen, wie jemand anderer sie ausführt. Diese Gehirnzellen “spiegeln” quasi die Handlungen von anderen in uns selbst – daher nannten sie sie Spiegelneuronen. Die Forscher nahmen an, dass das eine der Grundlagen für das Empfinden von Empathie sei, also für die Fähigkeit, die Gedanken, Motive, Gefühle und Empfindungen anderer Menschen zu erkennen und zu verstehen. Seither wird intensiv weitergeforscht, unterschiedliche Disziplinen beschäftigen sich mit Empathie, es scheint doch noch etwas komplexer zu sein als ursprünglich angenommen – das würde hier aber wohl zu weit führen :-).

Für Peter Brook, britischer Bühnenregisseur und einer der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen europäischen Theaters, ist die Sache klar: „Mit der Entdeckung der Spiegelneurone begannen die Neurowissenschaften zu verstehen, was das Theater schon lange wusste!“ Was er meint und was die Theatermacher schon „immer wussten“ ist, dass jede Aktion auf der Bühne bei den Zuschauern eine körperliche Resonanz hervorruft. Schon Aristoteles hat diese Wirkung in seinen Gedanken über das Theater und Dichtkunst, der “Poetik”, vor mehr als 2350 Jahren beschrieben – für ihn stellte das sogar eine der wichtigsten Funktionen der griechischen Tragödie dar.

Aber kommen wir zurück in die Gegenwart bzw in die 1990er Jahre: Erstmals entdeckt und beschrieben wurden die Spiegelneuronen vom Team des Hirnforschers Giacomo Rizzolatti in einem Experiment mit Affen. Die Tiere wurden mit Elektroden versehen und es wurde festgestellt, dass gewisse Neuronen sowohl feuerten, wenn das Tier nach einer Banane griff, aber eben auch, wenn jemand anderer nach der Banane griff.

Später wurden dann auch Experimente mit Menschen gemacht, darunter auch welche im Zusammenhang mit der biologischen Wirkung der Bühnenkunst. Dabei wurden den Teilnehmern Theaterstücke gezeigt und ihre Gehirnaktivität gemessen. Interessant war unter anderem die Erkenntnis, dass die Teilnehmer ihren eigenen Körper weniger wahrnahmen, dafür aber im motorischen Cortex die Bewegungsabläufe und die Handlung des Theaterstücks nachvollzogen. Die Spiegelneuronen “simulieren” das Gesehene also im Körper, es werden motorische Befehle an die Muskeln gesendet – andere Neuronen blockieren diese allerdings im Rückenmark sofort wieder. Ohne diese Blockade würden wir nämlich alle beim Zusehen eines Theaterstücks oder eines Films das Geschehen „mitspielen“. Es kommt nämlich sogar zu messbaren „Zuckungen“ in den Muskeln – diese Mikrobewegungen sind jedoch mit freien Auge nicht sichtbar.

Die Forscher zeigten auch, dass eine „Live-Aufführung“ im Vergleich zu einem Film eine noch höhere Aktivierung der Spiegelneuronen bewirkt. Sie führten das unter anderem darauf zurück, dass dadurch auch Körpersprache und Körperhaltung mehr „gespiegelt“ werden.
Sowohl die Affen- als auch die Menschen-Hirne konnten erkennen, ob eine Handlung nur gespielt war, oder ob sie wirklich mit der Absicht der handelnden Person übereinstimmte. In anderen Worten: Unbewusst wissen wir sogar, ob eine andere Person „lügt“ bzw. „nur so tut also ob“!

Was bedeutet das nun in der Praxis?

Zunächst einmal, dass Empathie eine uns angeborene Fähigkeit ist, die tief in unserem Nervensystem verankert ist. Sie umfasst dabei nicht nur unsere Emotionen, sondern auch unsere Motorik und funktioniert damit auf einer unbewussten Ebene. Die Spiegelneurone ermöglichen uns ganz praktisch, mit anderen Menschen mitzufühlen dadurch, dass wir unbewusst deren Handlungen in uns simulieren.
Da allerdings viele dieser Vorgänge unbewusst passieren, reagieren wir – ohne Ausbildung bzw. Training – mit Dissoziation oder eben zu starker Identifikation (Mitleid), wie zu Beginn beschrieben.

Das ist auch ein Grund, warum Empathie in Coaching- bzw. Lebensberater-Ausbildungen aktiv trainiert wird. Rapport aufbauen und bewusst brechen sowie das Üben des POL-Modells sind Beispiele dafür. Dadurch bringen wir unsere automatischen Reaktionen ins Bewusstsein und können den Empathie-Muskel trainieren – bzw. unsere automatische Reaktion auf die gespiegelten Beobachtungen verstehen und eventuell verändern.

Empathie ist aber noch viel mehr als nur die Aktion der Spiegelneuronen. Auch andere Hirnareale, wie die Inselrinde oder der präfrontale Kortex, spielen dabei eine Rolle und machen Empathie zu einem komplexeren Ablauf.
Was wir als Berater machen können, ist den Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid besser kennenzulernen und in unserer täglichen Arbeit immer besser in Balance zu bringen.
Dies kann konkret so ablaufen:

  1. Mit dem Klienten mitfühlen
    In deiner Coaching Ausbildung hast du eine Vielzahl an Methoden gelernt, um Rapport aufzubauen und diesen zu unterstützen. Wie du weißt, arbeiten die Spiegelneuronen auch für dich – das macht’s noch leichter. :-) Empathie ist eine natürliche Reaktion deines Nervensystems und auch deines Gegenübers.
  2. Meta-Position einnehmen
    Nun versinkst du aber nicht in den Emotionen deines Klienten, wie es vielleicht ein Freund tun würde. Stattdessen nimmst du eine professionelle Haltung ein. Du hast gelernt, in eine Meta-Position zu gehen und aus dieser heraus einen Raum für neue Lösungen zu schaffen. Gemeinsam mit deinem Coachee betrachtest du nun die möglichen Lösungen. Das ganze eben auf Basis der mitfühlenden Grundhaltung.
  3. Praktische Umsetzungen besprechen
    Nun besprichst du mit deinem Klienten die Umsetzung der möglichen Lösungen in dessen Alltag. Auch hier ist Empathie eine wichtige Grundlage, da du nur so spürst, ob die Lösungen auch wirklich umsetzbar sind und was diese in deinem Gegenüber auslösen. Auch merkst du dadurch, ob es sich nur um Ratschläge handelt – oder ob es zu einer wirklichen Resonanz beim Coachee kommt. Denn nur dann rückt die Möglichkeit der tatsächlichen Umsetzung in greifbare Nähe – und damit auch der Erfolg der Beratung.