Ein Bauer fand einmal ein Adler-Ei und legte es einer seiner Hennen im Hühnerhof ins Nest. Der Adler wurde zusammen mit den Küken ausgebrütet und wuchs mit ihnen auf. Da er sich für ein Huhn hielt, gackerte er. Er schlug mit den Flügeln und flatterte immer nur höchstens einen oder anderthalb Meter in die Höhe. Wie ein anständiges Huhn. Und er scharrte in der Erde nach Würmern und Insekten.

So verging Jahr um Jahr und der Adler wuchs heran und wurde älter. Eines Tages sah er einen prächtigen Vogel, der hoch oben am Himmel majestätisch seine Kreise zog.

Bewundernd blickte der Adler nach oben.

„Wer ist das?“ fragte er ein Huhn, dass gerade neben ihm stand.
„Das ist der Adler, der König der Vögel“, antwortete das Huhn.
„Wäre es nicht herrlich, wenn wir auch so hoch am Himmel kreisen könnten?“
„Vergiss es“
, sagte das Huhn. „Wir sind Hühner.“

Also vergaß der Adler es wieder.

Eines Tages jedoch kam ein vogelkundiger Mann auf den Hof. Dem fiel der Adler auf und er sagte: “Der Vogel dort ist kein Huhn, sondern ein Adler.“ “Ja“, sagte der Bauer, “das stimmt. Aber ich habe ihn zu einem Huhn erzogen. Er ist jetzt kein Adler mehr, sondern ein Huhn.“ “Nein“, sagte der andere, “er ist noch immer ein Adler, denn er hat das Herz eines Adlers und das wird ihn hoch hinauffliegen lassen in die Lüfte“.

Mit Erlaubnis des Bauern und nachdem er das Vertrauen des Adlers gewonnen hatte, nahm der Mann den Vogel auf den Arm, zeigte ihm den weiten Horizont und flüsterte ihm ins Ohr: “Du bist ein Adler. Ein König der Lüfte. Du kannst fliegen”, und hob seinen Arm. Der Adler auf der hochgestreckten Faust blickte sich um. Da sah er hinter sich die Hühner nach ihren Körnern picken und er sprang zu ihnen hinunter und pickte mit

Einige Zeit später, beim zweiten Versuch vom Scheunendach, beschwor ihn der Mann wieder: “Du bist ein Adler. Ein König der Lüfte. Du kannst fliegen.“ Der Vogel blickte in den Himmel. Er erinnerte sich an diesen wunderbaren Vogel, den er damals gesehen hatte und etwas in ihm begann sich richtig lebendig und erkannt zu fühlen. Er lüpfte die Flügel– aber dann erblickte er die scharrenden Hühner unten, der Mut verließ ihn und er hielt sich fest.

Beim dritten Versuch ging der Mensch mit dem Adler ins Gebirge. Und als der Adler die Luft unter seinen Flügeln spürte, die Weite des Horizonts erblickte und direkt ins Sonnenlicht blickte, schwang er sich von allein in die unendliche Weite seines Reiches noch bevor der Mann die drei Sätze zu Ende gesprochen hatte. In Kreisen flog er immer höher und segelte in die Ferne davon.

nach James Aggrey