Wir tauchen erneut in die Welt der kognitiven Verzerrungen ein, denn sie können nicht nur in unserem Alltag, sondern auch in unseren Coachings einen großen Einfluss haben.

Als Coaches möchten wir unseren Klient*innen dabei helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten und ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Doch manchmal stehen wir uns dabei selbst im Weg, ohne es zu bemerken. Diese unsichtbaren Denk- und Wahrnehmungsmuster können uns in die Irre führen und unsere Entscheidungsfindung beeinflussen.

Naive Realismus

Naive Realismus ist die Tendenz, unsere eigenen Wahrnehmungen und Meinungen als objektive Realität zu betrachten und anzunehmen, dass andere Menschen, die anders denken, einfach falsch oder irrational sein müssen.

Als Coaches ist es wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass jeder Mensch seine eigene subjektive Realität haben kann und dass es verschiedene gültige Perspektiven gibt. Ein Bewusstsein dafür kann den Coaching-Prozess unterstützen, indem wir unseren Klient*innen helfen, dies anzuerkennen.

Beispiel: Wenn wir jemandem begegnen, der eine andere politische Meinung hat als wir, könnten wir dazu neigen, ihre Meinung als falsch abzutun, anstatt sie als legitime Sichtweise anzuerkennen.

Naive Cynicismus

Beim “Naive Cynicismus” glauben wir, dass andere Menschen einen höheren egozentrischen Bias haben als wir selbst. Wir neigen dazu anzunehmen, dass ihr Verhalten von eigennützigen Motiven geleitet wird und nicht aus wohlwollenden Gedanken resultiert. Diese Verzerrung führt dazu, dass wir das Verhalten anderer Menschen skeptisch betrachten und ihnen weniger Vertrauen schenken.

Als Coaches kann es uns helfen, uns dieser Verzerrung bewusst zu sein und sich aktiv darum zu bemühen, sie zu überwinden. Indem wir uns für die Perspektive anderer öffnen, ihnen zuhören und ihnen Vertrauen entgegenbringen, schaffen wir eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Zusammenarbeit. Dadurch können wir eine authentische und effektive Beratungsbeziehung aufbauen, die von Vertrauen und Verständnis geprägt ist.

Beispiel: Ein Arbeitskollege bringt dir einen Kaffee aus der Kaffeeküche mit. Anstatt die Geste als freundlich und zuvorkommend anzusehen, gehst du davon aus, dass der Kollege etwas von dir will und dir nur einen Kaffee mitgebracht hat, um den Gefallen bald einlösen zu können.

Automation Bias

Der Automation Bias tritt auf, wenn Technologie unsere Entscheidungsprozesse beeinflusst. Fragst du dich manchmal, ob wir uns zu sehr auf Technologie verlassen? Nun, der Automation Bias könnte die Antwort darauf sein. Bei dieser Verzerrung vertrauen wir Technologie und automatisierten Systemen bedingungslos und folgen ihren Empfehlungen. Doch Vorsicht ist geboten, denn dabei können wir wichtige Informationen übersehen oder unsere eigene Intuition vernachlässigen.

Für uns als Coaches ist es daher von großer Bedeutung, sich bewusst zu sein, dass Technologie zwar hilfreich sein kann, aber kein Ersatz für unsere eigenen Denkfähigkeiten und Intuition ist.

Beispiel: Du vertraust der Autokorrektur deines Handys und gibst “Annas Geburtstagsfeier” ein. Dein Handy korrigiert es zu “Anna’s Geburtstagsfeier” und weil du den technischen Gegebenheiten vertraust, belässt du es bei der ausgebesserten, aber falschen Version.

Google-Effekt (digitale Amnesie)

Hast du bemerkt, wie wir uns immer öfter auf Suchmaschinen wie Google verlassen, um unser Wissen abzurufen? Hier kommt der Google-Effekt ins Spiel. Diese kognitive Verzerrung führt dazu, dass wir uns weniger an bestimmte Informationen erinnern, da wir wissen, dass wir sie jederzeit in wenigen Sekunden nachschlagen können. Das ist praktisch, aber Vorsicht ist geboten, da dadurch unser Gedächtnis auf Dauer schwächer werden könnte.

Als Coaches können wir unsere Klient*innen dabei unterstützen, nicht nur auf externe Informationsquellen zu vertrauen, sondern auch ihre eigenen Erfahrungen und inneren Ressourcen zu nutzen.

Beispiel: Du schaust einen Film und kennst den darin vorkommenden Schauspieler aus einem anderen Film. Obwohl du den Namen des Schauspielers schon mehrmals nachgeschlagen hast, fällt er dir einfach nicht ein und du suchst ihn erneut bei Google.

Backfire-Effekt

Manchmal halten wir so stark an unseren Überzeugungen fest, dass wir sogar noch stärker an ihnen glauben, selbst wenn uns Fakten und Argumente präsentiert werden, die das Gegenteil belegen. Dieses Phänomen nennt sich der Backfire-Effekt und er kann uns daran hindern, neue Informationen anzunehmen und unsere Denkmuster zu überdenken.

Als Coaches ist es unsere Aufgabe, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Klient*innen offen für neue Perspektiven sein können. Indem wir sie ermutigen, ihre Überzeugungen zu hinterfragen und alternative Sichtweisen zu erkunden, können wir ihnen helfen, ihre Denkmuster zu erweitern und persönliches Wachstum zu ermöglichen.

Beispiel: Max hat sich zum Ziel gesetzt, gesünder zu leben und Gewicht zu verlieren. Im Coaching erarbeitet sein Coach mit ihm einen individuellen Plan, der aus ausgewogener Ernährung und regelmäßiger Bewegung besteht. Während der ersten Sitzungen erklärt ihm sein Coach die Vorteile von gesunder Ernährung und motiviert ihn, seine Gewohnheiten zu ändern. Doch plötzlich tritt der Backfire-Effekt ein. Max fühlt sich überfordert von den vielen Veränderungen und Informationen, die er aufnehmen muss. Anstatt motiviert zu sein, beginnt er, sich gegen die Ratschläge seines Coaches zu sträuben. Er hält stur an seinen alten Gewohnheiten fest und rationalisiert sein Verhalten, indem er behauptet, dass gesunde Ernährung und Bewegung sowieso nicht funktionieren.

Third-Person-Effekt

Kennst du das Gefühl, dass bestimmte Medieninhalte oder Werbung keinen Einfluss auf dich haben? Der Third-Person-Effekt besagt, dass wir dazu neigen zu glauben, dass andere Menschen stärker von solchen Einflüssen betroffen sind als wir selbst. Doch leider sind auch wir nicht immun gegenüber den subtilen Botschaften und Manipulationen, denen wir täglich ausgesetzt sind.

Als Coaches ist es unsere Aufgabe, das Bewusstsein für diese Verzerrung zu schärfen und Klient*innen dabei zu unterstützen, ihre eigene Verletzlichkeit und Beeinflussbarkeit anzuerkennen.

Beispiel: Stell dir vor, du bist Teilnehmer*in bei einem Workshop zum Thema Stressbewältigung. Dabei wird unter anderem der Umgang mit Smartphone-Nutzung und der damit verbundenen Ablenkung besprochen. Während des Workshops bemerkst du, dass viele Teilnehmer*innen zustimmend nicken – nur einer nicht. Ein Teilnehmer meldet sich zu Wort und erklärt mit gelassener Stimme: “Ach, für mich persönlich ist das überhaupt kein Problem. Ich kann jederzeit mein Smartphone beiseitelegen und mich auf das Wesentliche konzentrieren.” Hier tritt der Third-Person-Effekt ein, da der Teilnehmer annimmt, dass die Informationen zur negativen Auswirkung auf andere zutreffen, jedoch nicht auf ihn selbst.

Belief Bias

Es ist menschlich, an unseren Überzeugungen festzuhalten und nach Bestätigung zu suchen. Beim Belief Bias neigen wir jedoch dazu, Argumente, die unseren Überzeugungen widersprechen, zu ignorieren oder abzulehnen und schnell jene anzunehmen, die in unsere Überzeugungssysteme passen, ohne ausreichende Vorab-Beweise zu erhalten.

Als Coaches tragen wir die Verantwortung, die Klient*innen dazu zu ermutigen, ihre Überzeugungen kritisch zu hinterfragen und offen für alternative Perspektiven zu sein. Indem wir sie dazu ermutigen, verschiedene Standpunkte zu betrachten und ihre eigenen Überzeugungen zu überprüfen, können wir ihnen helfen, ihre Denkmuster bewusster zu gestalten.

Beispiel: Deine Eltern haben jahrelang viel Fleisch gegessen, da sie mit dem Wissen aufgewachsen sind, dass Fleisch gut für die Knochen und die Gesundheit ist. Deine Schwester ist seit Neuestem Veganerin, nachdem sie Studien gelesen hat, die das Gegenteil beweisen. Es treffen zwei starke Überzeugungen aufeinander, und es ist wahrscheinlich, dass beide die Argumente der anderen ignorieren werden.

Availability Cascade

Hast du bemerkt, wie sich unsere Wahrnehmung von etwas ändert, je öfter wir damit konfrontiert werden? Das ist das Phänomen der Availability Cascade. Hierbei beeinflusst die Häufigkeit, mit der wir Informationen oder Ereignisse wahrnehmen, unsere Meinungen und Überzeugungen. Indem bestimmte Themen immer präsenter sind und wir ständig damit konfrontiert werden, neigen wir dazu, ihnen eine größere Bedeutung beizumessen.

Als Coaches ist es wichtig, die Klient*innen für diese Verzerrung zu sensibilisieren und sie dazu zu ermutigen, ihre eigenen Gedanken und Meinungen zu hinterfragen, anstatt sich von der Wiederholung bestimmter Informationen beeinflussen zu lassen.

Beispiel: Jahrelang hielt sich der Irrglaube, dass jeder Mensch im Durchschnitt 8 Spinnen im Schlaf isst. Durch die häufige Wiederholung dieser Annahme waren viele Menschen davon überzeugt.

Declinismus

Manchmal neigen wir dazu, negative Trends überzubewerten und somit einen pessimistischeren Blick auf die Zukunft zu haben. Im Gegensatz dazu tendieren wir dazu, die Vergangenheit zu romantisieren und als die “bessere Zeit” hervorzuheben. Das ist der Declinismus.

Als Coaches haben wir die Chance, diesem Bias entgegenzuwirken. Indem wir die Klient*innen ermutigen, ihre Aufmerksamkeit bewusst auf positive Veränderungen zu lenken und ihre Perspektive zu erweitern, können wir ihnen helfen, optimistischer in die Zukunft zu blicken.

Beispiel: “Früher hatten die Kinder noch mehr Respekt vor älteren Menschen.”

Gambler’s Fallacy

Kennst du das Gefühl, dass vergangene Ergebnisse Einfluss auf zukünftige Chancen haben? Beim Gambler’s Fallacy neigen wir dazu, in Spielen des Zufalls zu glauben, dass bestimmte Ereignisse aufgrund vergangener Ergebnisse wahrscheinlicher werden. Doch Vorsicht ist geboten, denn jede Runde ist unabhängig von den vorherigen Ereignissen.

Als Coaches ist es wichtig, die Klient*innen für diese Verzerrung zu sensibilisieren und sie dazu zu ermutigen, Entscheidungen auf Grundlage von Fakten und Wahrscheinlichkeiten zu treffen, anstatt sich von vergangenen Ergebnissen beeinflussen zu lassen.

Beispiel: Du hast eine Klientin, die glaubt, dass sie aufgrund vergangener Misserfolge in Zukunft bessere Chancen hat, obwohl die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg unverändert bleibt.

Zero-Risk Bias

Der Zero-Risk Bias führt dazu, dass wir Risiken übermäßig vermeiden möchten. Das bedeutet, dass wir Sicherheit über potenzielle Chancen stellen. Doch lassen wir uns daran erinnern, dass das Leben mit gewissen Risiken verbunden ist und dass Mut und Offenheit für neue Möglichkeiten uns oft weiterbringen können.

Als Coaches können wir unsere Klient*innen dabei unterstützen, ihre Ängste zu überwinden und sich auf neue Erfahrungen einzulassen.

Beispiel: Eine Person entscheidet sich, ihr Geld ausschließlich in risikofreie Anlagen wie Sparbücher oder Tagesgeldkonten anzulegen, um jegliches Verlustrisiko zu vermeiden, obwohl dies zu niedrigen Renditen führt.

Autoritätsbias

Vielleicht ist es uns schon öfter passiert, dass wir Autoritäten blind vertraut und deren Meinung akzeptiert haben, ohne sie zu hinterfragen. Das ist der Autoritätsbias, der uns dazu bringt, die Meinungen von Autoritäten überzubewerten und eigene kritische Denkfähigkeiten außer Acht zu lassen.

Als Coaches ist es unsere Aufgabe, die Klient*innen dazu zu ermutigen, ihre eigenen Überzeugungen zu hinterfragen und verschiedene Perspektiven einzubeziehen. Wir können ihnen dabei helfen, den Autoritätsbias bei sich selbst zu erkennen und ein stärkeres Bewusstsein dafür zu entwickeln.

Beispiel: Eine Gruppe von Schüler*innen nimmt automatisch an, dass die Meinung des Lehrers immer richtig ist und akzeptiert seine Ansichten, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Placebo-Effekt

Der Placebo-Effekt zählt wahrscheinlich zu einem der bekanntesten kognitiven Verzerrungen. Dieser faszinierende Effekt zeigt uns, dass der Glaube an eine Behandlung tatsächlich positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben kann, selbst wenn die Behandlung selbst keinen medizinischen Nutzen hat. Dabei ist wichtig zu betonen, dass ein Placebo in der Regel keine vollständige Behandlung ersetzen kann.

Als Coaches können wir den Placebo-Effekt nutzen, indem wir mit ihm arbeiten und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen unserer Klient*innen stärken.

Beispiel: Susanne erhält ein Placebo gegen ihre Schmerzen und bemerkt, dass die Schmerzen tatsächlich etwas nachlassen.

Survivorship Bias

Wir neigen dazu, uns auf erfolgreiche Beispiele zu konzentrieren und dabei diejenigen zu übersehen, die keinen Erfolg hatten. Das ist der Survivorship Bias, der uns dazu bringt, falsche Schlussfolgerungen aus den verfügbaren Informationen zu ziehen.

Als Coaches können wir die Klient*innen daran erinnern, dass es viele Wege zum Erfolg gibt und dass Misserfolge und Rückschläge ein natürlicher Teil des Prozesses sind. Selbst diejenigen, die an einem bestimmten Punkt erfolgreich waren, mussten oft Hindernisse überwinden.

Beispiel: Johannes möchte sein Studium abbrechen, weil Mark Zuckerberg mit Facebook erfolgreich wurde, nachdem er sein Studium abgebrochen hat. Dabei ignoriert er jedoch viele andere, die ihr Studium abgebrochen haben und keinen Erfolg hatten.

Auch Teil 3 unserer Reihe zu den kognitiven Verzerrungen hat uns gezeigt, dass unsere Gedankenwelt nicht vor Irrtümern gefeit ist – es kann auf vielen verschiedenen Ebenen zu Verzerrungen kommen. Ein Bewusstsein dafür kann uns helfen, den kognitiven Verzerrungen einen Schritt voraus zu sein. 😉

In Teil 4 werden wir uns den finalen kognitiven Verzerrungen widmen. Klicke hier, um sie direkt zu lesen.

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