Die Welt der kognitiven Verzerrungen ist wie ein aufregendes Puzzle voller Erkenntnisse. Jedes Stück, das wir entdecken, bringt uns näher zu einem tieferen Verständnis von uns selbst und unserer Umgebung.
Im vierten Teil unserer Serie zu den kognitiven Verzerrungen widmen wir uns den letzten dreizehn Verzerrungen und werden uns ihrer bewusst.
Forer-Effekt (aka Barnum-Effekt)
Hast du dich jemals gefragt, warum Horoskope oft so verblüffend zutreffend erscheinen, obwohl sie allgemein gehalten sind? Nun, das liegt am Forer-Effekt! Dieser Effekt beschreibt unsere Tendenz, vage und allgemeine Aussagen als persönlich zutreffend zu interpretieren. Es ist, als ob wir in die Sterne schauen und uns selbst darin erkennen.
Als Coaches können wir den Forer-Effekt als nützliches Werkzeug einsetzen. Der Schlüssel liegt darin, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und die individuellen Bedürfnisse und Werte der Klient*innen zu verstehen.
Beispiel: Stell dir vor, du liest ein Horoskop, das behauptet, dass du ein einfühlsamer und hilfsbereiter Mensch bist. Du denkst: “Wow, das passt perfekt zu mir!”
Dunning-Kruger-Effekt
Der Dunning-Kruger-Effekt beschreibt unsere Neigung, unsere eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, wenn wir wenig Erfahrung oder Wissen in einem bestimmten Bereich haben. Es ist, als ob wir die Spitze des Eisbergs sehen, aber die wahre Tiefe darunter nicht erkennen. Häufig lässt es sich sehr einfach folgendermaßen zusammenfassen: Je weniger wir wissen, desto selbstbewusster sind wir; je mehr wir wissen, umso weniger Selbstbewusstsein strahlen wir aus.
Im Coaching kann der Dunning-Kruger-Effekt dazu führen, dass Klient*innen unrealistische Ziele setzen oder Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Stärken und Schwächen einzuschätzen. Als Coach ist es unsere Aufgabe, ihnen dabei zu helfen, realistische Erwartungen zu entwickeln.
Beispiel: Stell dir vor, du hast gerade erst angefangen, Tennis zu spielen. Du hast ein paar Mal mit deinen Freunden gespielt und fühlst dich bereits wie ein Tennisprofi. Du bist überzeugt, dass du das Spiel perfekt beherrschst und keine weiteren Lektionen oder Trainings benötigst, bis du mit jemandem spielst, der/die besser ist als du.
Tachypsychia
Tachypsychia ist ein Begriff, der die subjektive Wahrnehmung von Zeit beschreibt, besonders wenn wir in stressigen oder lebensbedrohlichen Situationen sind. Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass die Zeit in solchen Momenten plötzlich langsamer zu vergehen scheint? Das ist die Tachypsychia in Aktion!
Als Coaches können wir dieses Phänomen nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, in herausfordernden Situationen einen klaren Kopf zu bewahren. Indem wir ihnen beibringen, ihre Zeitwahrnehmung zu regulieren und bewusst zu verlangsamen, können wir ihnen helfen, rationalere Entscheidungen zu treffen und besser mit Stress umzugehen.
Beispiel: Bei einem Autounfall wurde die Zeit knapp vor dem Aufprall des Autos plötzlich langsamer.
Law of Triviality (aka “Bike-Shedding”)
Hast du jemals bemerkt, wie in Meetings oder Diskussionen oft mehr Zeit für scheinbar unwichtige Themen aufgewendet wird, während wichtige Entscheidungen vernachlässigt werden? Das ist das Law of Triviality. Es beschreibt unsere Tendenz, uns auf einfache oder alltägliche Probleme zu konzentrieren, anstatt uns mit komplexeren und bedeutungsvolleren Fragen auseinanderzusetzen.
Als Coaches können wir daran arbeiten, das Law of Triviality zu erkennen und zu vermeiden. Indem wir uns auf die wesentlichen Herausforderungen und Ziele unserer Klient*innen konzentrieren und ihnen helfen, ihre Prioritäten zu setzen, können wir ihnen dabei helfen, effektiver zu arbeiten und ihre Ziele schneller zu erreichen.
Beispiel: In einem Buchklub werden die Teilnehmer*innen über die Länge eines Kapitels oder das Cover-Design eines Buches stundenlang diskutieren, während die tiefgründigen Themen und Botschaften des Buches kaum berührt werden.
Zeigarnik-Effekt
Der Zeigarnik-Effekt beschreibt unsere Tendenz, unvollständige Aufgaben oder ungelöste Probleme besser im Gedächtnis zu behalten als abgeschlossene Aufgaben. Es ist, als ob unser Gehirn immer wieder daran erinnert werden möchte, dass etwas noch erledigt werden muss.
Als Coaches können wir den Zeigarnik-Effekt nutzen, um Klient*innen bei der Zielsetzung und Motivation zu unterstützen. Indem wir sie dazu ermutigen, klare Ziele zu formulieren und kleine Etappensiege zu feiern, können wir ihre intrinsische Motivation steigern und ihnen dabei helfen, Aufgaben erfolgreich abzuschließen. Außerdem können wir – indem wir auf den Zeigarnik-Effekt aufmerksam machen – unseren Klientinnen dabei helfen, wahre Zufriedenheit und Stolz für das Geschaffte zu empfinden.
Beispiel: Susanne fühlt sich immer schuldig, weil sie das Gefühl hat, nichts fertig zu bekommen – bis zu dem Moment, in dem sie all die abgehackten Aufgaben auf ihrer To-Do-Liste sieht.
Ikea-Effekt
Hast du jemals ein Möbelstück von Ikea zusammengebaut und dich danach besonders stolz und verbunden mit dem Ergebnis gefühlt? Das ist der Ikea-Effekt! Er beschreibt unsere Tendenz, Dinge, an denen wir selbst mitgewirkt haben, höher zu schätzen und eine stärkere emotionale Bindung zu ihnen zu haben.
Als Coaches können wir den Ikea-Effekt nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten zu erkennen. Indem wir sie ermutigen, aktiv an ihrem eigenen Wachstum und ihrer Entwicklung mitzuwirken, können wir ihre Selbstwirksamkeit stärken und ihr Selbstvertrauen aufbauen.
Beispiel: Stell dir vor, du gehst in ein beliebiges Möbelhaus und kaufst ein Regal zum Selberaufbauen. Du nimmst dir viel Zeit und Mühe, um es zusammenzubauen, und nach ein paar Stunden steht es endlich in deinem Wohnzimmer. Obwohl es vielleicht nicht perfekt aussieht, fühlst du eine gewisse Verbundenheit zu dem Regal. Du bist stolz auf deine Arbeit und betrachtest es als etwas Besonderes, das du selbst geschaffen hast.
Ben-Franklin-Effekt
Ben Franklin war nicht nur ein Staatsmann, sondern hatte auch einen interessanten Einfluss auf die Psychologie. Der Ben-Franklin-Effekt beschreibt unsere Tendenz, Menschen, denen wir einen Gefallen getan haben, positiver wahrzunehmen und ihnen gegenüber wohlwollender eingestellt zu sein.
Als Coaches können wir den Ben-Franklin-Effekt nutzen, um eine positive und unterstützende Beziehung zu unseren Klient*innen aufzubauen. Indem wir ihnen helfen und ihnen kleine Gefallen erweisen, können wir ihr Vertrauen gewinnen und ihnen das Gefühl geben, dass wir sie wirklich unterstützen und an ihrer Seite sind.
Beispiel: Stell dir vor, du hast einen Nachbarn, mit dem du nicht wirklich gut auskommst. Ihr habt schon öfter Meinungsverschiedenheiten gehabt und euch nicht besonders sympathisch gefunden. Eines Tages bittest du ihn jedoch um einen kleinen Gefallen, zum Beispiel darum, dir beim Hochtragen einer schweren Einkaufstasche zu helfen. Er willigt ein und unterstützt dich bereitwillig. Nachdem er dir geholfen hat, fällt dir auf, dass sich deine Einstellung ihm gegenüber verändert hat. Du fängst an, ihn freundlicher und positiver wahrzunehmen. Du denkst: “Er ist eigentlich ein netter Mensch und wirklich hilfsbereit.” Durch den kleinen Gefallen hast du eine positive Veränderung in der Beziehung zu deinem Nachbarn erlebt.
Bystander-Effekt
Der Bystander-Effekt beschreibt unsere Tendenz, in einer Gruppensituation weniger wahrscheinlich zu helfen, wenn andere Menschen anwesend sind. Es ist eine Form von sozialem Einfluss, bei der wir uns zurückhalten, weil wir denken, dass jemand anderes schon helfen wird.
Als Coaches können wir unseren Klient*innen dabei helfen, den Bystander-Effekt zu überwinden, indem wir eine unterstützende und offene Atmosphäre schaffen. Indem wir Klient*innen ermutigen, ihre Bedürfnisse und Herausforderungen offen zu kommunizieren, und ihnen dabei helfen, Lösungen zu finden, können wir ihre Eigenverantwortung stärken und ihnen helfen, ihre eigenen Antworten zu finden.
Beispiel: Nach einem Skiunfall stehen mehrere Menschen um die verletzte Person herum, doch niemand macht den ersten Schritt, um zu helfen oder die Rettung zu alarmieren.
Suggestibilität
Die Suggestibilität bezieht sich auf unsere Anfälligkeit, aufgrund von Vorschlägen oder Einflüssen von anderen Menschen, Ideen oder Überzeugungen anzunehmen, die sich als Erinnerungen anfühlen können. Besonders Kinder sind oft anfällig für diese Art von Beeinflussung.
Als Coaches können wir die Suggestibilität nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, neue Denkmuster und Verhaltensweisen zu entwickeln. Indem wir ihnen neue Perspektiven aufzeigen und sie ermutigen, ihre eigene Sichtweise zu hinterfragen, können wir ihnen helfen, Veränderungen anzunehmen und ihr volles Potenzial zu entfalten.
Beispiel: Stell dir vor, du bist Zeugin eines Autounfalls. Kurz nach dem Vorfall kommt ein Polizist zu dir und stellt dir Fragen zu den Details des Unfalls. Während des Gesprächs erwähnt der Polizist, dass ein schwarzes Auto beteiligt war, obwohl du dich nicht sicher bist, ob das stimmt. Aufgrund dieser Suggestion beginnst du, deine Erinnerung zu überdenken und überzeugst dich selbst davon, dass tatsächlich ein schwarzes Auto involviert war, obwohl du es dir nicht mehr genau vorstellen kannst.
Falsche Erinnerung
Kennst du das Gefühl, wenn du dir sicher bist, dass etwas in der Vergangenheit passiert ist, aber es stellt sich heraus, dass du dich geirrt hast? Das ist die falsche Erinnerung in Aktion! Sie beschreibt unsere Tendenz, unsere Erinnerungen im Nachhinein zu verändern oder uns an Dinge zu erinnern, die nie wirklich stattgefunden haben.
Als Coaches können wir die falsche Erinnerung nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, ihre eigenen Denkmuster und Überzeugungen zu hinterfragen. Indem wir sie ermutigen, ihre Erinnerungen kritisch zu reflektieren und alternative Perspektiven zu erkunden, können wir ihnen dabei helfen, neue Einsichten und Lösungen zu finden – besonders für Probleme oder Trauma, die in der Vergangenheit liegen.
Beispiel: Angenommen, eine Person namens Lisa behauptet, sie könne sich deutlich daran erinnern, dass sie als Kind von einem Hund gebissen wurde. Sie erzählt, wie schmerzhaft der Vorfall war und wie lange die Wunde gebraucht habe, um zu heilen. Lisa ist jedoch tatsächlich nie von einem Hund gebissen worden. Nach weiteren Nachforschungen stellt sich heraus, dass Lisa als Kind einmal Zeugin eines Hundebisses bei einem ihrer Freunde war. Dieses Ereignis hat sie so stark beeinflusst, dass sie im Laufe der Zeit eine falsche Erinnerung entwickelt hat, bei der sie selbst das Opfer des Hundebisses war.
Cryptomnesia
Cryptomnesia tritt auf, wenn eine vergessene Erinnerung zurückkehrt, ohne dass sie vom Subjekt als solche erkannt wird. Die Person glaubt, dass es sich um etwas Neues und Originelles handelt. Es handelt sich um eine Gedächtnisverzerrung, bei der eine Person fälschlicherweise glaubt, einen Gedanken, eine Idee, eine Melodie, einen Namen oder einen Witz selbst generiert zu haben. Dabei handelt es sich nicht um absichtliches Plagiat, sondern die Person erlebt die Erinnerung, als ob sie eine neue Inspiration wäre.
Als Coaches können wir die Cryptomnesia nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, ihre eigenen Potenziale und Ressourcen zu erkennen. Indem wir sie ermutigen, verschiedene Ideen und Quellen zu erkunden, können wir ihnen dabei helfen, ihre Kreativität zu entfesseln und neue Wege zu finden, ihre Ziele zu erreichen.
Beispiel: Stell dir vor, du bist Musiker und komponierst ein neues Lied. Du hast eine Melodie im Kopf, die dir sehr gefällt und von der du denkst, dass du sie selbst kreiert hast. Du bist überzeugt, dass es eine originelle Komposition ist. Später jedoch, als du das Lied jemand anderem vorspielst, merkt diese Person an, dass die Melodie bereits in einem bekannten Song existiert. Du hast die Melodie unbewusst aus diesem Song übernommen, aber sie fühlte sich für dich wie etwas Neues und Eigenes an.
Clustering-Illusion
Die Clustering-Illusion beschreibt unsere Tendenz, Muster oder Zusammenhänge in zufälligen Ereignissen zu erkennen, auch wenn diese nicht wirklich existieren. Es ist, als ob unser Gehirn nach Ordnung sucht und versucht, Sinn in chaotischen Informationen zu finden.
Als Coaches können wir die Clustering-Illusion nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, Klarheit und Struktur in ihren Gedanken und Problemen zu finden. Indem wir ihnen helfen, relevante Informationen zu identifizieren und sie dabei unterstützen, Fakten von Annahmen zu trennen, können wir ihnen helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen und ihre Ziele effektiver zu verfolgen.
Beispiel: Stell dir vor, du bist ein/e Student*in, der/die gerade eine Prüfungsvorbereitung macht. Du gehst durch deine Notizen und bemerkst, dass du viele Beispiele für ein bestimmtes Thema hast, aber nur wenige für andere Themen. Du beginnst zu denken: “Oh nein, ich habe viel zu wenig Material für dieses Thema, ich werde sicherlich in der Prüfung scheitern!” Die Clustering-Illusion lässt dich glauben, dass es ein Ungleichgewicht gibt, obwohl du möglicherweise genügend Informationen zu allen Themen hast.
Blind-Spot-Bias
Der Blind-Spot-Bias beschreibt unsere Tendenz, die Denkfehler und Verzerrungen bei anderen Menschen leichter zu erkennen als bei uns selbst. Es ist, als ob wir einen blinden Fleck haben, wenn es um unsere eigenen Denkprozesse geht.
Als Coaches können wir den Blind-Spot-Bias nutzen, um Klient*innen dabei zu helfen, ihre eigenen Denkmuster und Verzerrungen zu erkennen und zu überwinden. Indem wir ihnen Feedback geben und sie dazu ermutigen, selbstreflektierende Fragen zu stellen, können wir ihnen helfen, ihre kritischen Denkfähigkeiten zu verbessern und ihre eigene Entwicklung voranzutreiben.
Beispiel: “Ich bin nicht voreingenommen.”
Damit dürfen wir die Reihe zu den 50 Kognitiven Verzerrungen abschließen. Wir dürfen an dieser Stelle natürlich auch nicht vergessen, dass kognitive Verzerrungen menschlich sind und uns alle betreffen können. Indem wir uns ihrer bewusst werden und lernen, sie zu erkennen, können wir jedoch unsere Denkmuster und Entscheidungsprozesse verbessern, somit rationalere Entscheidungen treffen und unseren Klient*innen Hilfestellungen bieten.
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